Universität Bielefeld - Sonderforschungsbereich 360

Satzkooperationen
Definition und empirische Untersuchung

Kristina Skuplik

Einleitung

Unter Syntaxkoordination von Sprechern im Diskurs kann man unterschiedliche Phänomene subsumieren. Zum einen gibt es syntaktische Muster, die in der Interaktion etabliert wurden und rekurrent auftreten. In den Konstruktionsdialogen (s.a. 1994), die dieser Arbeit zugrunde liegen, verwendet eine Instrukteurin (I) wiederholt das Muster "X mit (den) y Löchern", um Bauteile -- Leisten, Würfel und Muttern -- zu benennen, zum Beispiel> und dann nimmst du dir einen von diesen äh Würfeln mit den vielen Löchern drin (01I0071).
Später bedient sich auch die Konstrukteurin (K) dieses Musters (Beispiel 1):
Beispiel 1
01K052 Diese Leiste mit den drei Löchern hab(e) ich da jetzt draufgesetzt
Teilweise werden in den Dialogen auch neuere Benennungen für Bauteile etabliert. So wird zum Beispiel in einem der Dialoge für eine Sorte von Muttern die Bezeichnung Salmiakpastille eingeführt, die sonst oft als Rauten, Rautenmuttern, rautenförmige Dinger bzw. Teile oder orange Muttern bezeichnet werden. Während im oben genannten Beispiel die Instrukteurin aufgegriffen wird, ist es in Beispiel 2 umgekehrt. Hier verwendet erst die Konstrukteurin die Bezeichnung Salmiakpastille, die dann vom Instrukteur übernommen wird (Beispiel 2).
Beispiel 2
07I038 ja, und von unten drehste du das wieder mit so einer <-> Salmiakpastille zusammen.
Zum anderen gibt es neben diesen und anderen Formen der Syntaxkoordination aber auch Sätze bzw. Äußerungen, an deren Produktion und Artikulation mehrere Sprecher beteiligt sind (Beispiel 3). Letzteres Phänomen steht im Mittelpunkt dieser Arbeit.
Beispiel 3: Kooperativ produzierter Satz
08K019 {also I, ähm> hinterher soll der rote <-> Würfel
08I020 auch nach oben zeigen.
08K020 auch nach oben zeigen.
Die Untersuchung dieser Art von kooperativer Satz- bzw. Äußerungsproduktion kann durch normative grammatische Vorstellungen behindert werden. Die Regeln der klassischen und der Schulgrammatiken sind überwiegend unabhängig davon formuliert, ob eine syntaktische Einheit von einem Sprecher bzw. Schreiber realisiert wird oder von mehreren. Auch wenn es sich dabei im Allgemeinen nicht um einen bewussten Abstraktionsschritt handelt, müsste sich das nicht notwendigerweise als Problem erweisen. Es hat aber oft zur Folge, dass man dazu neigt, kooperativ realisierte syntaktische Strukturen wegen der Sprecherwechsel nicht als solche einzustufen, sondern eher als Folgen von Ellipsen. D.h. die Regeln werden so interpretiert, als gäten sie nur für syntaktische Strukturen, an deren Realisation genau eine Person beteiligt ist. Dieses Problem soll an einem Beispiel mit verschiedenen Realisationsvarianten schrittweise verdeutlicht werden, bevor die Begriffe "Satzkooperation", "completion" und "continuation" eingeführt werden (Kapitel 2). Im Anschluss daran werden zunächst die Untersuchungsaspekte anhand zahlreicher Beispiele erläutert (Kapitel 3), dann die Ergebnisse der Untersuchung von 126 Satzkooperationen aus den 22 Dialogen des SFB-Korpus dargestellt (Kapitel 4), tabellarisch zusammengefasst (Kapitel 5) und anschließend ausführlich diskutiert (Kapitel 6). Den Anhang bildet eine Liste der hier untersuchten Belege.


1 Alle Beispiele mit nummerierten Redebeiträgen sind dem SFB-Korpus "Wir bauen jetzt ein Flugzeug" entnommen (Rickheit, Eikmeyer & Sagerer 1994; überarbeitete Version 1997).
Anke Weinberger, 1999-07-12, 2000-12-12