Hirnelektrische Spuren des Wort-, Satz- und Textverstehens

Frank Rösler

Universität Marburg
Allgemeine und Biologische Psychologie

Abstract
Mit Hilfe bildgebender Verfahren (EEG, fMRI) lassen sich subtile Änderungen der Hirnaktivität erfassen, die systematisch mit Prozessen des Sprachverstehens und der Sprachproduktion kovariieren. In diesem Beitrag sollen einige aktuelle Befunde des Forschungsansatzes zur Wort-, Satz-, und Textverarbeitung vorgestellt und hinsichtlich ihrer Bedeutung für Sprachverarbeitungsprozesse diskutiert werden.

Bei der Wortverarbeitung bilden sich z.B. Prozesse des lexikalischen Zugriffs und der semantischen Bahnung im sog. N400-Effekt des ereigniskorrelierten EEG-Potentials ab. Anhand eines Priming-Experiments mit lexikalischer Entscheidung wird erörtert, ob dieser Effekt eine wortklassenspezifische Topographie hat und somit Aufschluß über die Repräsentation semantischer Inhalte im Gedächtnis geben kann (Rösler, Streb, & Haan, 2001).

Bei der Satzverarbeitung lösen Strukturelemente, die eine weniger geläufige Satzstruktur einleiten, im EEG eine links-anteriore Negativierung (LAN) aus. Die Amplitude dieser Negativierung kovariiert mit dem Ausmaß der syntaktischen Abweichung von der kanonischen Form (Rösler, Pechmann, Streb, Röder, & Hennighausen, 1998). Funktionelle Kernspinmessungen in vergleichbaren Experimentalsituationen weisen darauf hin, daß diese zusätzlichen Beanspruchen im Bereich des linken dorsolateralen frontalen Kortex, bzw. im Broca Areal wirksam werden (Röder, Stock, Neville, Bien, & Rösler, 2001). Es wird erörtert, inwieweit die LAN Beanspruchungen des syntaktischen Analysesystems bzw. des Arbeitsgedächtnisses anzeigt.

Bei der Textverarbeitung müssen anaphorische Verweise mit passende Antezedenten verknüpft werden. Hirnelektrische Korrelate der anaphorischen Anbindung kovariieren mit dem Typ der Anapher. Bei Ellipsen kovariiert die Amplitude einer LAN-ähnlichen Komponente mit dem Abstand zwischen Antezedent und Anapher. Ein vergleichbarer Amplitudeneffekt findet sich in einer N400-ähnlichen Komponente, wenn sog. Modellinterpretative Anaphern aufgelöst werden müssen. Diese klare zeitliche und topographische Trennung der hirnelektrischen Korrelate der beiden Anaphertypen unterstützt somit die von Sag & Hankamer postulierten Unterschiede bezüglich der bei der Anapherauflösung involvierten Prozesse - syntaktische Analyse bei Ellipsen bzw. semantische Analyse und Revision des Textmodells bei MI-Anaphern (Streb, Hennighausen, & Rösler, 2001, Streb, Rösler, & Hennighausen 1999).

Literatur


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