Syntax und synaptische Aktivität im Schläfenlappen des Menschen

Thomas Grunwald

Universität Bonn
Klinik für Epileptologie

Abstract
Das Lesen eines einzelnen Wortes führt zu einer synaptischen Aktivität im Schläfenlappen des Menschen, die darüber entscheidet, ob man sich später an dieses Wort erinnern wird oder nicht. Wird das gleiche Wort dann erneut gelesen, so zeigt die jetzt veränderte synaptische Aktivität, dass ein Lernprozess stattgefunden hat. Das elektrophysiologische Korrelat dieser synaptischen Plastizität sind ereigniskorrelierte Potentiale, die auch unmittelbar im Schläfenlappen abgeleitet werden können, wenn dort Tiefenelektroden aus medizinischen Gründen implantiert werden müssen: Wörter evozieren im hippokampalen System N400-Potentiale, die mit der individuellen Leistungsfähigkeit des Verbalgedächtnisses korrelieren und deren Amplituden bei Wiederholungen abnehmen. Dieser Lernprozess ist abhängig von NMDA-Rezeptoren, die eine "long-term potentiation" (LTP) genannte Form der synaptischen Plastizität vermitteln.

Wir konnten nun nachweisen, dass Wörter ähnliche N400-Potentiale im mesialen Schläfenlappen auch dann auslösen, wenn sie im Satzkontext gehört werden - und zwar unabhängig davon, ob sie in diesem Satz sinnvoll oder unsinnig sind. Stehen sie jedoch in einer Satzposition, die den Regeln der Phrasenstruktur widerspricht, wird die Erzeugung eines mesio-temporalen N400-Potentials vollständig blockiert.

Diese Daten zeigen, dass Syntax synaptische Prozesse im mesialen Schläfenlappen des Menschen unmittelbar beeinflusst: Verstöße gegen Regeln der Phrasenstruktur beeinflussen bereits die Verarbeitung einzelner Wörter im limbischen System und somit deren mögliche Enkodierung im Verbalgedächtnis.


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