Universität Tübingen
Neurologische Universitätsklinik
Abstract
Das Syndrom der reinen Worttaubheit ist gekennzeichnet durch eine Beeinträchtigung des
auditiven Sprachverständnisses bei diskrepant besser erhaltener Spontan- und
Schriftsprache (1). Gelegentlich entwickelt sich diese klinische Konstellation aus
einer initialen Rindentaubheit. In der Regel ist die reine Worttaubheit
vergesellschaftet mit einer Beeinträchtigung der Rekognition non-verbaler Stimuli
wie Geräuschquellen oder Melodien (auditive Agnosie). Abgesehen von wenigen Ausnahmen
lag in den veröffentlichten Fällen eine bilaterale temporale Läsion vor. Aus diesen
Gründen muß angenommen werden, daß grundsätzlich beide Hirnhälften sprachliche Laute
zu enkodieren vermögen. Experimentelle Untersuchungen beim Menschen, die sich u.a.
auf die Methode des Dichotischen Hörens stützten, weisen allerdings auf eine
bessere "Verarbeitung" bestimmter Lautkategorien wie z.B. der Verschlußkonsonanten
im Bereich der sprachdominanten Hemisphäre hin, möglicherweise bedingt durch eine
raschere/zuverlässigere Detektion von Formanttransienten. Um diese Hypothese zur
funktionell-neuroanatomischen Asymmetrie der Sprachlautenkodierung zu überprüfen,
wurde begonnen, die Verarbeitung der "information bearing elements" des akustischen
Sprachsignals wie z.B. "voice onset time", Richtung und Dauer silbeninitialer
Formanttransienten, Periodizität mit Hilfe der Ganz-Kopf Magnetenzephalographie
("mismatch fields") zu untersuchen (2-5). Die bislang vorliegenden Ergebnisse zur
Verarbeitung von binaural und/oder dichotisch applizierten Konsonant-Vokal (CV)
Silben deuten darauf hin, daß die angesprochenen Lateralitätseffekte an zwei
Bedingungen geknüpft sind: (a) funktionelle Segregation der afferenten Information
im Bereich des auditiven Kortex, (b) perzeptuelle Diskrimination der Laute (im
Gegensatz zu präattentiver Stimulusverarbeitung). Neben CV Einheiten wurden als
Stimuli auch isolierte Formanttransienten simultan mit den komplementären Silbenbasen
dargeboten ("duplex perception") (6). Es zeigte sich, daß die Fusion von Transienten
und Basen zu vollständigen, perzeptuell disambiguierten CV Silben an
linkshemisphärische Strukturen gebunden ist.
Ackermann H, Mathiak K. Fortschr Neurol Psychiat 67 (1999) 241-253.
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