Modell zur Untersuchung von Fällen interkultureller Transfers

Udo Schöning

SFB 529: Internationalität nationaler Literaturen
Universität Göttingen

Abstract
Die für die literarische oder filmische Interkulturalitätsforschung relevanten Fragen lauten: Was wird wann, wie, warum und mit welchen Folgen transferiert. Sie betreffen daher in einem Analysemodell den ausgangskulturellen Horizont, das Objekt aus diesem Horizont, den Kanal des Transfers, den zielkulturellen Horizont und das Objekt in diesem Horizont. Innerhalb der ausgangs- und zielkulturellen Horizonte, die sich jeweils soziologisch als Felder im Sinne Bourdieus in ihrer relativen Autonomie beschreiben und in ihrer Dynamik verstehen lassen, sind beteiligte oder betroffene Personen, Gruppen und Institutionen zu untersuchen. In bezug auf das Transferobjekt sind unter Berücksichtigung des materiellen wie des ideellen Aspekts die Fragen der Diskurszugehörigkeit und Stellung im Diskurs sowohl für den Horizont der Ausgangskultur als auch für den der Zielkultur zu klären. Der Vergleich der Befunde führt zu präzisierten Fragen, auf die eine Antwort im folgenden gesucht wird.

Hinsichtlich des Transferkanals spielen zum einen der Code (Sprache, Bild, Sprache und Bild) und zum anderen das Medium (Person, Brief, Zeitschrift, Zeitung, Buch, Film) eine zu erforschende Rolle. Darüber hinaus ist zu beachten, ob es sich um eine Übersetzung bzw. um eine Synchronisation handelt oder nicht. Die ausgangsseitig und zielseitig am Transfer beteiligten oder von ihm betroffenen Personen, Gruppen und Institutionen können mit Hilfe von Pyms Begriffen réseau und régime genauer erfaßt werden. Der réseau-Begriff stellt die Frage nach dem sozialen Kontext und seiner speziellen Beziehung zum jeweils anderen vom Transfer betroffenen Horizont sowie zum Transferobjekt, zum Kanal und zum Diskurs. Der régime-Begriff fragt nach expliziten oder impliziten Zielen des Transfers. Auf der Grundlage dieser Analysen können im weiteren Gründe für die transferbedingten Modifikationen des Objekts ermittelt werden, wie sie durch den Kanal oder durch den zielkulturellen Kontext bestimmt sein können. Ferner kann die Dynamik des Transferprozesses und des Objektwandels festgestellt werden: Handelt es sich eher um eine Ausgangs-, um eine Transfer- oder eine Eingangsdynamik? Die Interpretation dieser Befunde zielt schließlich darauf, die Leitlinien des Transfers im Rahmen von Interessen und Erwartungen, Voraussetzungen und Folgen innerhalb der beiden betroffenen Horizonte und die Leitlinien des Transfers im Rahmen der Bedingungen des Kanals herauszustellen. Damit ist die Frage nach Leitkulturen und Leitdiskursen aufgeworfen, und schließlich kann von den speziellen Fällen aus erschlossen werden, wann und unter welchen allgemeinen Bedingungen es überhaupt zu interkulturellen Transfers kommt.


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