Ritual- und Magietheorien und ihre Anwendbarkeit
in der alttestamentlichen Wissenschaft
Rüdiger Schmitt
SFB 493: Funktionen von Religion in
antiken Gesellschaften des Vorderen Orients
Universität Münster
Abstract
In der ethnologischen und religionswissenschaftlichen Forschung hat sich ein
breiter Diskurs über die Bedeutung von rituellen Akten entwickelt, von dem die
Alttestamentliche Wissenschaft - ebenso wie die Altorientalistik - lange
unberührt geblieben ist. Erst in der letzten Dekade sind einige Arbeiten
erschienen, die ein Bemühen erkennen lassen,
sich dem Problemkreis Ritual und Magie im Alten Testament von
einer neuen theoretischen Warte aus zu nähern. Grundsätzlich ist
jedoch die Frage zu stellen, wie diese Ansätze auf die Analyse
ritueller und magischer Akte im Alten Testament angewandt werden
können. Hierbei stellen sich einige grundsätzliche hermeneutische
Probleme:
- Die Alttestamentliche Wissenschaft hat nicht die
Möglichkeit zur "teilnehmenden Beobachtung" und kann ihre Erkenntnisse nicht
im Dialog verifizieren.
- Versuche, diesen "garstigen Graben" zu überbrücken, wie Mowinckels Hermeneutik
des "einfühlenden Verstehens" sind aufgrund der in Fragestellung und
Verifikationsmöglichkeiten
einfließenden Absichten und Vorverständnisse extrem problematisch.
- Der kulturübergreifende Vergleich zwischen aus "teilnehmender
Beobachtung" gewonnenen Erkenntnissen mit verschriftlichten Ritualen antiker
Gesellschaften, ist problematisch, da deren "Sitz im Leben" (Trägergruppe,
gesellschaftliche Relevanz des Rituals etc.) nicht immer unmittelbar erschlossen
werden kann. Ein kulturübergreifender Vergleich erscheint daher nur bei Symbolsystemen
eines räumlich und zeitlich begrenzten Kulturraumes sinnvoll.
- Hieraus resultiert, daß der Vorstellungshorizont, der
ritualsymbolische Mediengroßraum, bzw. das Symbolsystem (Mowinckels "Weltbild") in
einem ständigen Dialog zwischen Einzelritual, dem ritualsymbolischen
Mediengroßraum und Befunden aus der Umwelt Israels rekonstruiert werden muß.
- Rituale liegen im Alten Testament z.T. in Form starker literarischer
Stilisierung vor, so daß häufig nur die Frage nach der Funktion des "Rituals des
Rituals", also der literarischen Stilisierung selbst untersucht werden kann.
Dies sagt - im besten Fall - etwas über das Verhältnis der Tradenten zum
literarischen Ritual aus, wenig jedoch über das Ritual selbst.
- Magische Handlungen sind im AT weiter in Form von Wundergeschichten über
Propheten (insbesondere Elia und Eliascha) überliefert, die aufgrund des
literarischen Genus am Ritualakt selbst nur wenig interessiert sind.
- Über andere Formen magischer Akte wird wiederum nur
in Abgrenzung gehandelt. D.h. bestimmte Handlungen und deren Ergebnisse,
die als nicht konform angesehen werden, werden stigmatisiert. Die
rituellen und magischen Akte, ihre Träger und Funktionen sind somit schwer
greifbar.
Trotz dieser nicht unerheblichen hermeneutischen Probleme vermag
eine Auseinandersetzung mit der Theoriebildung innerhalb der
Religionswissenschaft und Ethnologie wertvolle Anstöße und
Orientierungsstrategien hinsichtlich der Fragestellungen der
Alttestamentlichen Wissenschaft beizutragen: Weiterführende
Fragestellungen sind u.a.:
- Nach den sozialen Dimensionen rituellen Handelns mit den Leistungsbezügen
(Reichweiten) für die beteiligte Gruppe oder Gesellschaft, also den Aspekt von
Identitätsstiftung, und Identitätsbewahrung hinsichtlich
gesellschaftlicher Kontexte und Gefährdungen
- Nach den intrapersonalen Leistungsbezügen des Rituals, die konkrete Leistung
des Rituals für das Individuum, z.B. Heilung, Reintegration in die Gruppe
(religionspsychologische Aspekte)
- Nach den spezifischen Überschneidungen der Reichweiten der Riten für Subjekt
und Kollektiv
- Nach der sozio-kulturellen und geschichtlichen Einbettung des Rituals in die
Gesellschaft, die es praktiziert
- Nach der jeweiligen sozialen Plausibilität eines Rituals, also der Kongruenz
von Symbolwelt und
Gesellschaft
- Nach dem Verhältnis des Rituals zum ritualsymbolischen Mediengroßraum, aus dem
das Ritual einerseits seine Symbole und symbolischen Handlungen speist und
andererseits den Beitrag des
Rituals für den ritualsymbolischen Mediengroßraum
- Nach der Korrelation literarischer Befundes mit den archäologischen und
ikonographischen.