Kontaktinduzierter Wandel

Walter Bisang

SFB 295: Kulturelle und sprachliche Kontakte: Prozesse des Wandelns in historischen Spannungsfeldern Nordostafrikas/Westasiens
Universität Mainz

Abstract
Im Sonderforschungsbereich 295 untersuchen mehrere Disziplinen der Fächer Sprachwissenschaft, Alte Geschichte, Archäologie und Ethnologie kulturelle und sprachliche Kontakte im Raum Nordostafrika/ Westasien im Hinblick auf deren Konsequenzen für das Entstehen neuer Strukturen in Staat, Gesellschaft, Religion, Wirtschaft, Siedlungsformen, Kunst und Literatur. Methodisch geht der SFB von den folgenden drei Elementen des Kontaktes aus: Kontaktmedien (Artefakte, Texte, Sprache) als Indizien für den Kontakt, Kontaktträger als Individuen bis hin zu größeren gesellschaftlichen Gruppierungen, über die der Kontakt verläuft (Händler, Gesandte), und Kontakttypen als Teilbereiche des menschlichen Handelns, innerhalb derer Kontakt stattfindet. Die Motive, die in diesen Konstellationen zum Wandel führen, sind nicht offen sichtbar, sie werden erst über die Handlungsmuster spezifischer Kontaktträger und den Veränderungen in ihren Kontaktmedien deutlich. Diesem Sachverhalt werden weder die älteren semiotisch orientierten Ansätze der strukturalen oder symbolischen Anthropologie (Levi-Strauss 1963, Geertz 1973 etc.) noch die jüngsten Versuche zu einer neomaterialistischen Kulturtheorie (z.B. Sperbers 1996 'Epidemiologie der Repräsentation') gerecht.

Der Forschungsgegenstand des SFB 295 zeigt, daß strukturalistische Ansätze mit taxonomisch fixierten Strukturen gerade das Moment des Wandels nicht adäquat erfassen können. Zwar dürfte es sich als erfolgreich erweisen, als Ausgangspunkt Kulturen mit den ihnen eig0enen prototypischen Merkmalen strukturalistisch darzustellen, die Wandelprozesse und Verschiebungen, die sich aus dem Kontakt ergeben, müssen jedoch im Rahmen einer neu zu entwickelnden Theorie erfaßt werden. Die methodische Basis hierzu zeigt sich nach drei Disziplinen geordnet wie folgt:

  1. Altertumswissenschaften: Den Ausgangspunkt bilden strukturelle Analysen der Objekte (Kontaktmedien), die in der Klassischen Archäologie von der Beschreibung des Gegenstandes über dessen Einordnung in einen oder den Fundkontext bis hin zur Interpretation des Inhaltes reichen. Diese Analysen sind nur auf der Basis des Vergleichs von Denkmälern möglich und haben naturgemäß additiven Charakter. Die lückenhafte Überlieferung der Denkmäler macht ein rekonstruierendes Vorgehen unausweichlich. Die vielfältigen Formen von Wandel und Veränderung lassen sich in der Klassischen Archäologie am besten mit Reihenuntersuchungen vergleichbarer Phänomene feststellen. Die Untersuchungen von Kontakt- und Wandelphänomenen am Beispiel von Artefakten ermöglichen den Vergleich mit Befunden aus der Sprachwissenschaft und der Ethnologie.
  2. Ethnologie/Kulturanthropologie: Es gehört zur interpretativen (hermeneutischen) Kompetenz des Menschen, vom Teil auf das Ganze, von der Wirkung auf die Ursache etc. zu schließen und den Verweisungscharakter von Spuren (Zeichen) erkennen zu können. Diese Kompetenz ist auch für das Erzeugen und Verstehen sprachlicher und kultureller Äußerungen unerläßlich, die immer bruchstückhaft sind und synekdochisch, metonymisch, metaphorisch, anaphorisch etc. erschlossen werden müssen (vgl. Altertumswissenschaften). Ein Gebiet, auf dem die Analyse kontaktinduzierten Wandels besonders gut deutlich gemacht werden kann, ist die Metaphernforschung. Da jede Sprache, jede Kultur ihr eigenes metaphorisches Repertoire hat, das im Kultur- bzw. Sprachkontakt aktiviert wird, schließen Untersuchungen zum Kulturkontakt das Studium komparativer Metaphorik mit ein.
  3. Sprachwissenschaft: Ausgehend von der Analyse der strukturellen Eigenschaften einzelner Sprachen in den Ebenen der Phonologie, Morphologie, Syntax, des Lexikons und des Diskurses wird untersucht, welche dieser Ebenen sich wie und in welchem Maße durch Kontakt verändern können. Hier zeigen sich bis zu einem gewissen Punkt Parallelen mit der Formseite der Kontaktmedien in den Altertumswissenschaften.

Es gibt immer mehr Hinweise darauf, daß Sprachwandel von ganz spezifischen kulturellen und sozialen Konstellationen abhängig sein kann, d.h. die Motivation für den Umgang des Sprechers mit sprachlichen Neuerungen steht in einem Zusammenhang mit allgemeineren Formen des Umgangs mit anderen Kulturen (vgl. Ethnologie/ Kulturanthropologie). Die Frage, bis zu welchem Grad sprachinterne Kriterien (Universal Grammar als angeborenes Sprachwissen), die kognitive Ausrüstung des Menschen und schließlich externe Kriterien kultureller Natur den Sprachwandel beeinflussen, sollte neu überdacht werden. Eine Anknüpfung zur rhetorischen Ethnologie bietet die Grammatikalisierungsforschung, die letztlich ebenfalls mit Implikaturen, Metaphern und Metonymien in ihren fachspezifischen Definitionen operiert.


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