Zusammenfassende Darstellung des Projektbereiches B

Im Projektberich B "Perzeption und Referenz" wurde in den vorausgegangenen Förderungsphasen eine Vielzahl einzelner Untersuchungen zur Interaktion der visuellen und der sprachlichen Verarbeitung unter besonderer Berücksichtigung der Referenzproblematik durchgeführt. Dabei standen vor allem lokale Referenzprozesse im Vordergrund, die im Kontext des aufgabenorientierten SFB-Szenarios analysiert wurden. Die hierbei verwendeten Methoden reichten von konversationsanalytischen Verfahren über klassische psycholinguistische Reaktionszeitexperimente und Blickbewegungsbeobachtungen bis hin zu neurowissenschaftlichen Beobachtungen und Analyseprozeduren. Ohne die verschiedenen Befunde in ihrer spezifischen Aussagekraft zu schmälern, scheint es aus heutiger Sicht doch möglich zu sein, ihre Gemeinsamkeiten stärker als früher wahrzunehmen und einige übereinstimmende Trends zu beobachten. Zwei dieser gemeinsamen Entwicklungslinien beziehen sich auf die starke Gedächtnisabhängigkeit vieler festgestellter Phänomene und auf das komplexe Zusammenspiel kognitiver und kommunikativer Aspekte bei der Bedeutungskonstitution. Die zu diesen beiden Themen gebildeten interdisziplinären Arbeitsgruppen haben eine Reihe methodischer und theoretischer Aspekte diskutiert, die in der abschließenden Förderungsphase vertieft und noch stärker zu einem Gesamtkonzept zusammengebracht werden sollen.

Das Teilprojekt B3 untersucht unter anderem sprachbegleitende Gesten, insbesondere Deixis in Face-to-face-Konstruktionsdialogen. Im Vergleich zu herkömmlichen Gestenprojekten wird in B3 eine neue Methodologie verfolgt, bei der theoretische Rekonstruktion, experimentelle Gestenstudien und Computer-Simulation durch Techniken der "Virtuellen Realität" mit einander verknüpft werden. Zu den wichtigsten Ergebnissen der experimentellen Studien gehört, dass das Timing der Gesten sehr flexibel ist und von der Position des zeigenden Agenten und der Dichte der Objekte im Zeigebereich abhängt. Im Antragszeitraum wird die Simulation um Gestenproduktion und ­erkennung für komplexe Domänen in virtueller Mehragenten-Kommunikation erweitert. Hier sind unter anderem Untersuchungen geplant, in denen der Virtuelle Kommunikator die Gesten des menschlichen Dialogpartners nachahmt.

Das Teilprojekt B4 beschäftigt sich mit konstruktionsrelevanten visuellen Such-, Vergleichs-, Identifikations- und Referenzprozessen. Der Schwerpunkt der Arbeiten des Teilprojekts wird auf der Referenz in variierenden Kontexten liegen. Das betrifft unter anderem variierende Positionen, Formen, Funktionen oder Bezeichnungen eines Referenzobjekts. So verspricht die Untersuchung von Blickbewegungen bei Positionsänderungen Aufschluss über die kognitiven Prozesse der Fokusnachführung in Konstruktionshandlungen. Das Blickbewegungsverhalten bei teilverdeckten Objekten könnte Erkenntnisse über konstruktive Prozesse bei der mentalen Rekonstruktion dreidimensionaler Szenen liefern. Die Betrachtung okulomotorischer Parameter bei der Verwendung referierender sprachlicher Ausdrücke lässt Rückschlüsse auf die situierte Konzeptualisierung von Szenenobjekten zu.

In Teilprojekt B5 werden Sprachverarbeitungsprozesse mit neurowissenschaftlichen Methoden der Cognitive Neuroscience untersucht. Die Untersuchungsschwerpunkte im Überlappungsbereich von Linguistik, Neurobiologie und Kognitionswissenschaft beziehen sich auf Fragen der Struktur und der kortikalen Repräsentation des Lexikons, dem zeitlichen Verlauf der Sprachanalyse und der Neurobiologie der Verarbeitung unterschiedlich komplexer Äußerungen. Für die nächste Projektphase sollen die bisherigen Arbeiten in folgende Bereiche ausgedehnt werden: Einbettung der untersuchten Wortarten in komplexe Handlungsanweisungen, Kontextabhängigkeit der Stimuli, Einfluss prosodischer Merkmale sowie die neurobiologische Realität des Lexikons. In methodischer Hinsicht sind die folgenden Arbeiten geplant: Erweiterung um Sonifikation statistischer Abhängigkeiten bzw. spektraler Ähnlichkeiten, Identifikation aufgabenkontingenter Kopplungen zwischen Ableitorten sowie die Evaluierung der Methoden für die neuen experimentellen Settings.

In der kommenden Förderungsphase wird der Arbeitsschwerpunkt des Teilprojekts B6 auf die Untersuchung von Inferenzen im Verständigungsprozess gelegt. Die Korpusanalyse der Daten des SFB-Szenarios hat gezeigt, dass Prozesse der Inferenzregulierung und der interaktiven Inferenzkoordination eine zentrale und besonders interessante Rolle für den Verständigungserfolg spielen und dass dabei verschiedene, genauer zu erforschende Argumentations- und Inferenzmuster der Alltagslogik verwendet werden. Aufbauend auf den in der ersten Projektphase durchgeführten Experimenten, in denen verschiedene Aspekte der Inferenzbildung eines Dialogpartners untersucht wurden, liegt in der zweiten Projektphase der Schwerpunkt auf der Regulierung und Koordination der Inferenztätigkeit durch die beiden Partner. Speziell in aufgabenorientierten Dialogen, in denen beide Partner an einem gemeinsamen Produkt arbeiten, lassen sich häufig solche Inferenzkoordinationen finden. Die empirischen Ergebnisse der anderen beiden Projektbereiche werden als Ausgangspunkt für die Modellierung verwendet. Im Zentrum der Modellierung steht nicht die einzelne Inferenz, sondern ihre Funktion für die Verständigungssicherung. Das Modell wird auf dem Computer simuliert und kann dadurch in Bezug auf die empirischen Daten evaluiert werden. Durch Generalisierungen aus dem Modell heraus können neue Hypothesen formuliert werden, die dann wieder empirisch überprüft werden können.


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