Semantisch-lexikalische Verarbeitung bildhafter Gebärdenzeichen?
Eine Studie mit funktioneller Bildgebung

Juliane Klann

Klinkum der RWTH Aachen, Neurolinguistik und Neuropsychologie

Montag, 08.12.2003, 16 Uhr c.t., Hörsaal 9
Überblick
Das Thema des Vortrags ist die Modalitätsspezifität der sprachdominanten Hemisphäre. Seit der Erforschung neurofunktioneller Repräsentationen von Sprache ist die Frage nach der Modalitätsspezifität der Hemisphärendominanz sprachlicher Funktionen ein zentrales Thema der neurowissenschaftlichen Kognitionsforschung. Mit Hilfe eines neueren Forschungsansatzes, der Gebärdensprachforschung, kann nun dieses Wissen erweitert werden, da Laut- und Gebärdensprachen unterschiedliche In- und Output-Modalitäten nutzen. Durch die Untersuchung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten in den cerebralen Reprdsentationen der Gebärdensprache einerseits und der Laut- bzw. Schriftsprache andererseits kann eruiert werden, inwieweit sprachliche Funktionen modalitätsspezifisch oder supramodal organisiert sind. Ziel des Vortrags ist es, einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand und die diskutierten Hypothesen zu geben. Des weiteren wird eine vor diesem Hintergrund geplante Studie zur cerebralen Repräsentation bildhafter Gebärdenzeichen bei gehörlosen Probanden mit primärer Kompetenz in Deutscher Gebärdensprache und bei hörenden Probanden ohne Kompetenz in DGS vorgestellt werden, die zur Zeit am Universitätsklinikum Aachen durchgeführt wird. Das Ziel der Studie ist es, zu überprüfen, ob transparente Gebärdenlexeme in denselben linksseitig gelegenen perisylvischen Netzwerken verarbeitet werden wie nicht-transparente Gebärden- und Schriftlexeme.
Zum besseren Verständnis der Gesamtzusammenhänge wird zu Beginn des Vortrags ein kurzer Überblick über die Grammatik der DGS gegeben.
Hintergrund
Untersuchungen hirngeschädigter gehörloser Patienten zeigen Beeinträchtigungen der Gebärdensprachkompetenz ausschließlich nach linksseitigen Läsionen [1]. Neuere Aktivierungsstudien mit bildgebenden Verfahren konnten für die lexikalische und syntaktische Verarbeitung von Gebärdensprache die Rekrutierung klassischer Sprachareale in der perisylvischen Region der linken Hemisphäre nachweisen (Broca- und Wernicke-Areal) [2-10]. Vielfach wurde aus den Ergebnissen die Hypothese eines gemeinsamen zugrundeliegenden neuronalen Substrats für Laut- bzw. Schrift- und Gebärdensprache abgeleitet und damit eine supramodale Repräsentation sprachlicher Funktionen impliziert [2]. Sprachwissenschaftliche Analysen ergaben jedoch strukturelle Unterschiede zwischen Laut- bzw. Schrift- und Gebärdensprachen [11], aufgrund derer die Annahme einer zumindest teilweise separaten cerebralen Repräsentation der Gebärdensprache plausibel erscheint. Eine modalitätsspezifische Eigenschaft gebärdensprachlicher Systeme ist die Bildhaftigkeit. Dabei stellt sich die Frage, ob transparente Gebärdenlexeme bildlich- konzeptuell verarbeitet werden. Dies müsste sich in einer spezifischen Lokalisation innerhalb des Netzwerks der mental imagery Funktionen zeigen. Alternativ wäre eine sprachsystematische Verarbeitung transparenter Gebärdenzeichen in den klassischen Netzwerken der linken Hemisphäre denkbar.
Literatur
[1] Poizner G, Klima ES, Bellugi U (1987). What the hands reveal about the brain. Cambridge: MIT Press.
[2] Rönnberg J, Söderfeldt B, Risberg J (2000): The cognitive neuroscience of sign language. Acta Psychologica 105: 237-254.
[3] Klann J, Kastrau F, Keminy S, Huber W (2002): The Neuropsychology of signed and written language: an fMRI-study. Cortex 38: 874-877.
[4] Klann J, Kastrau F, Keminy St, Huber W (2001): Sign Language Aphasia, Sign Language Processing and Hemispheric Dominance. Stem-,Spraak- en Taalpathologie 10 (4): 203-214.
[5] Klann J, Kastrau F, Keminy St, Huber W (2001): Gebdrdensprachforschung in den Neurowissenschaften:Ziele, Methoden und Ergebnisse. Sprache & Literatur 32 (2): 21-30.
[6] Neville HJ, Bavelier D, Corina D, Rauschecker J, Karni A, Lalwani A, Braun A, Clark V, Jezzard P, Turner R (1998): Cerebral Organization for Language in Deaf and Hearing Subjects: Biological Constraints and Effects of Experience. Proceedings of the National Academy of Sciences, USA 95: 922-929. Neville
[7] Söderfeldt B, Ingvar M, Rönnberg L, Eriksson L, Serrander M, Stone-Elander S (1997): Signed and Spoken Language Perception Studied by Positron Emission Tomography. Neurology 49: 82-87.
[8] MacSweeney M, Woll B, Brammer M, Campbell R, Calvert G, David A, Williams SCR, McGuire PK (2001): Cortical Correlates of Lexical and Syntactic Sign Language Processing. NeuroImage 13:563.
[9] McGuire PK, Robertson D, Thacker A, David AS, Kitson N, Frackowiak RS, Frith CD (1997): Neural Correlates of Thinking in Sign Language. Neuroreport 8 (3): 695-698.
[10] Shibata D, Zhong J (2001): Internal Sentence Generation in the Deaf: English and Sign Language. NeuroImage 13: 601.
[11] Boyes Braem P (21995): Einführung in die Gebärdensprache und ihre Erforschung. Hamburg: Signum.


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