Rationalität und Selbstorganisation in der Pragmatik

Gerhard Jäger

Institut für Linguistik
Universität Potsdam

Montag, 26.07.2004, 16 Uhr c.t., Hörsaal 9
Die "klassische" linguisische Pragmatik unterstellt bei Sprecher und Hörer ein unrealistisches Maß an Rationalität -- de facto logische Allwissenheit -- und komplexe Inferenzen über ihr wechselseitiges Wissen. Diese Annahmen sind nicht nur konzeptuell fragwürdig, sondern führen z.T. auch zu falschen empirischen Voraussagen. Dem Vorbild der Wirtschaftswissenschaften folgend bietet es sich an, koordinierte Interaktion als Resultat von evolutionärer Selbstorganisation zu betrachten. Erfolgreiche Strategien haben demnach eine höhere Chance, imitiert zu werden als erfolglose Strategien, und setzen sich deshalb durch.

In mehreren Pilotstudien haben Robert van Rooij und ich selbst gezeigt, dass diese Art von evolutionärer Spieltheorie sich erfolgreich auf Probleme der linguistischen Pragmatik anwenden lässt.

Andererseits ist ein rein evolutionärer Ansatz, der völlig von Rationalitätserwägungen abstrahiert, wahrscheinlich ebenfalls unrealistisch. In der Spieltheorie werden unter dem Begriff "beschränkte Rationalität" verschiedene hybride Modelle diskutiert, die für Anwendungen in der Pragmatik geeignet erscheinen. Außerdem wurden in den genannten evolutionären Modellen die Replikationswahrscheinlichkeiten stipuliert, was die Gefahr zur Zirkularität in sich birgt.

Die elementare Einheit der evolutionären Dynamik der Sprache ist der einzelne Dialog. Die genannten Grundsatzprobleme dieses dynamischen Ansatzes sind daher durch Dialog-Studien empirisch zu klären. Das Alinierungsmodell von Pickering und Garrod bietet sich hier als Arbeitshypothese an. Perspektivisch möchte ich vor allem auf die folgenden Fragen fokussieren:

Diese Fragen lassen sich nur auf der Basis eines realistischen Modells der alinierten syntaktischen und semantischen Repräsentationen klären. In dem Vortrag werde ich daher auch kurz auf die Frage adäquater Syntax- und Semantiktheorien eingehen, die einen dynamischen Aufbau von partiellen Repräsentationen erlauben.


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