Was kann die Kognition von der Motorik lernen? Fallstudien aus Phonetik und Linguistik
Ernst de Langen
Kognitive Neurolinguistik
Universität Potsdam
Klinikum Passauer Wolf, Bad Griesbach
Montag, 27.01.2003, 16 Uhr c.t., Hörsaal 5
Sowohl in der Forschung als auch in der klinischen Neurologie und Neuropsychologie herrscht
meist eine strikte Trennung zwischen kognitiven und motorischen Fähigkeiten. Diese
Tatsache lässt sich nicht logisch begründen, denn zum einen entwickelte sich in
der menschlichen Phylogenese das motorische System zuerst und erst später das System
sprachlicher Leistungen, zum anderen ist es unwahrscheinlich, dass für die Entwicklung
sprachlicher Fähigkeiten beim homo sapiens das Gehirn völlig neue und
separate neuroanatomische Substrate und neurophysiologische Mechanismen entwickelt hat.
Vielmehr ist anzunehmen, dass die Kognition auf die bereits vorhandenen Systeme der Motorik
aufbaut. Zwar zeigt die Pathologie, dass motorische und kognitive Funktionen jeweils selektiv
defizitär sein können, bei manchen motorischen bzw. kognitiven Störungsbildern
lassen sich aber Ähnlichkeiten beim Störungsmuster feststellen, wie zum Beispiel beim
Gilles-de-la-Tourette-Syndrom. Wir kennen aus der Patholinguistik Patienten mit relativ erhaltenem
nicht-propositionalen Sprachleistungen, bei denen das propositionale Sprachverhalten aber
deutlich defizitär ist. Diese Dichotomie des Verhaltens lässt sich auch in der
Motorik beobachten. Auch die Fähigkeit des Sequenzierens, die für die Lautsprache
fundamental ist, kann in ähnlicher Art und Weise wie bei motorischen Störungen
beeinträchtigt sein. Ein weiteres Beispiel wären die sogenannten Echophänomene.
Einige Fallstudien aus der Neurolinguistik und der Neurophonetik illustrieren, wie man bei
der Suche nach der Pathogenese bestimmter Phänomene in der Motorik Erklärungsmodelle
finden kann, die auf das (defizitäre) Sprachsystem übertragbar sind.